Hendrix' 40. Todestag (2024)

  • X.com
  • Facebook
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp

Als die beiden Sanitäter am 18. September 1970 gegen 11 Uhr im Samarkand Hotel im West-Londoner Stadtteil Notting Hill ankamen, stand die Tür der Suite im Souterrain weit offen. "Es war niemand da, nur der Körper auf dem Bett", sagte der Fahrer des Krankenwagens später. "Er war bedeckt von Erbrochenem in allen Farben. Schwarz, braun, überall auf ihm, auf dem Kissen."

Reg Jones, so hieß der Sanitäter, versuchte die Wiederbelebung mit einem Beatmungsgerät. Ohne Erfolg. "Er hatte keinen Herzschlag. Er war blau, atmete nicht und reagierte nicht auf Licht oder Schmerz." James Marshall Hendrix war tot. Im St. Mary Abbots Krankenhaus trug ein Arzt in den Totenschein das Kürzel "DOA", ein, "Dead on Arrival", tot bei Ankunft.

27 Jahre alt war Jimi Hendrix geworden. Nur zwölf Jahre hatte er Gitarre gespielt, vier Jahre vor seinem Tod hatte er seine erste Platte aufgenommen. Doch das reichte, um zu einem der ganz großen Musiker des 20. Jahrhunderts zu werden; zugleich war er mit seiner Afro-Frisur und seinem Piraten-Hippie-Outfit eine Ikone der sechziger Jahre, in Swinging London, der globalen Pop-Kapitale.

"Ist er immer so verdammt gut?"

So wie der Schwarze aus Seattle hatte noch niemand die elektrische Gitarre gespielt. Besonders Musiker waren und sind von seinen Fähigkeiten hingerissen. Der englische Gitarrist Jeff Beck sagte: "Hendrix tat genau, was ich wollte. Ich konnte es bloß nicht." "Wasserstoffbomben explodierten, Raketen flogen durch die Luft", beschrieb Mike Bloomfield, Gitarrist in der Band Bob Dylans, die Töne, die der noch unbekannte Hendrix produzierte. Eric Clapton, der in London als "Gott" verehrte Gitarren-Virtuose, verließ schockiert die Bühne, nachdem ihn Hendrix beim gemeinsamen Jammen förmlich an die Wand gespielt hatte. Clapton fragte Hendrix’ Manager: "Is he always so f*cking good?"

Ebenso atemberaubend wie seine Musik war sein Aufstieg aus dem Armenviertel von Seattle zum Weltstar. Als er am 27. November 1942 geboren wurde, war sein Vater Al Hendrix ein 22-jähriger Soldat und kämpfte bald im Südpazifik gegen Japan. Seine 17 Jahre alte Mutter Lucille reichte ihn in ihrer Familie herum. Nachdem der Vater nach Hause kam, wurde es nicht besser. Die Eltern tranken, schlugen sich und die Kinder. Zusammen mit seinem Bruder Leon schnorrte sich "Buster", wie der kleine Jimi genannt wurde, bei Nachbarn und Freunden durch. Er stotterte und versagte in der Schule. Er war ein trauriger, verschlossener Junge.

Seine Bestimmung fand er, als er 15 war und sich für fünf Dollar seine erste akustische Gitarre kaufte. Der Rock'n'Roller Chuck Berry und der Blues-Sänger Muddy Waters hatten es ihm angetan. Er war keine 16, als seine Mutter starb, vom Alkohol ruiniert. Er spielte Gitarre, von morgens bis abends, zwanghaft. Sein Vater spürte sein Talent und kaufte ihm eine elektrische Gitarre.

Mit 23 hält er das passende Instrument in Händen

Nachdem die Polizei ihn zweimal in einem gestohlenen Auto festgenommen hatte, bekam er zwei Jahre Knast; der Richter bot an, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, wenn er zur Armee ginge. Er meldete sich bei der U.S. Air Force als Freiwilliger, doch spielte weiter ständig Gitarre und lernte Billy Cox kennen, einen seiner späteren Bassisten. Nach einem Jahr hatte Hendrix das Soldatenleben so satt, dass er zu einem Psychiater ging und diesem sagte, er habe sich in einen Kameraden verliebt und müsse zwanghaft masturbieren. Der Psychiater empfahl, Hendrix wegen "hom*osexueller Neigungen" aus der Armee zu entlassen.

Hendrix' 40. Todestag (1)

Fotostrecke

Hendrix' Todestag: "Entschuldigt mich, solange ich den Himmel küsse"

Foto:

DPA

Nach seiner Befreiung, wie er es empfand, schlug er sich mehr schlecht als recht als Gitarrist für bekannte schwarze Sänger durch: Solomon Burke, Otis Redding, die Isley Brothers, die Supremes und Little Richard. Im Mai 1966 in New York schenkte ihm eine Freundin, die ihr Geld als Callgirl verdiente, eine weiße Gitarre der Firma Fender, eine Stratocaster; "die Liebe seines Lebens", wie sie sagte. Jimi Hendrix war 23 Jahre alt und hielt endlich das Instrument in Händen, um die Musik, die er im Kopf hatte, zu spielen. In New York wurde Bob Dylan sein Vorbild, dessen surreale Texte, die krausen Haare, sein Sprechgesang. Er trug immer ein Dylan-Songbook mit sich herum und spielte dessen Hymne "Like a Rolling Stone".

Es war Linda Keith, die Freundin des Rolling Stones-Gitarristen Keith Richards, die Hendrix in New York entdeckte. Sie machte ihn auch mit LSD vertraut, das die meisten Schwarzen als "Drogen der Weißen" ablehnten; und sie schleppte Londoner Musiker zu den Gigs von Hendrix, darunter auch Chas Chandler, den ehemaligen Bassisten der Animals. Nachdem Chandler Hendrix mit dessen erster eigener Band Jimmy James and the Blue Flames im Greenwich Village gesehen hatte, beschloss er, den genialen Gitarristen unter Vertrag zu nehmen und nach England zu bringen.

Spielen mit den Zähnen

Am 23. September 1966 bestieg Hendrix in New York einen PanAm-Jet und flog nach London Heathrow.

Chas Chandler und Michael Jeffery, seine beiden Manager, heuern den Gitarristen Noel Redding als Bassisten an; Mitch Mitchell als Schlagzeuger, und geben der Band den Namen The Jimi Hendrix Experience. Die erste im Dezember 1967 veröffentlichte Single "Hey Joe" schafft es schon auf Platz vier der britischen Charts. Auf seiner zweiten Single "Purple Haze" findet sich die emblematische Zeile: "Excuse me while I kiss the sky."

Im Mai 1967 erscheint die erste LP: "Are You Experienced?". Es folgen Tourneen durch Skandinavien und die USA. In seiner Heimat hat Hendrix es allerdings nicht so einfach, denn er ist den Schwarzen, die Blues und Soul hören, mit seiner psychedelischen Rockmusik nicht schwarz genug. Dennoch schafft er mit seinem Auftritt beim Monterey Pop Festival den Durchbruch in Amerika. Er zieht alle Register, spielt hinter seinem Rücken, mit den Zähnen. Schließlich zündet er sein Instrument an.

Hendrix steht für einen außergewöhnlichen Moment in der Geschichte der Popmusik. Der von Drogen und Rebellion geprägte Underground wird zum Mainstream, bevor er sich Anfang der siebziger Jahre vom Establishment vereinnahmen lässt. Ende 1967 veröffentlicht die Jimi Hendrix Experience ihre zweite Langspielplatte "Axis: Bold as Love", etwa ein Jahr später das Doppelalbum "Electric Ladyland", mit der überwältigenden Version des Dylan-Songs "All Along the Watchtower".

Amerika lieben, die Regierung hassen

Was die Manager der Gruppe zumuten, ist übermenschlich. Immer wieder zwei Konzerte am Tag, dann am besten noch ins Studio. Hendrix begegnet den Anforderungen mit Drogen: Amphetamine zum Munterbleiben; Barbiturate zum Schlafen. Cannabis sowieso, aber auch LSD, Kokain und Heroin. Nachdem der Bassist Noel Redding die Experience entnervt verlassen hat, stellt Hendrix für einen Auftritt bei dem Festival von Woodstock eine neue fünfköpfige Begleitband zusammen. Wegen schlechten Managements und Wetters können sie erst am Montag morgen um halb neun spielen, als das Festival schon beendet sein sollte und von der halben Million Besucher nur noch 40.000 Unentwegte ausgeharrt hatten.

Dennoch wird der Auftritt - durch den Woodstock-Film und die Platte – zur Legende, nicht zuletzt dank der Version der US-Nationalhymne, die Hendrix zu dieser Zeit regelmäßig spielt, die aber noch nicht auf Platte erschienen ist. Er dekonstruiert die Hymne, zerhackt und zerfetzt sie, aber fügt sie wieder zusammen. Es ist unmöglich, nicht an den Krieg in Vietnam zu denken. Hendrix spielt die Musik einer Generation, das Leitmotiv der Achtundsechziger in den USA; die Hymne von jungen Amerikanern, die ihr Land lieben, aber die Regierung wegen des Kriegs in Indochina hassen.

Jimi Hendrix ist nicht wirklich politisch, dafür ist er viel zu sehr mit Musik beschäftigt, aber er hat Sympathien für die Black Panthers. Als Martin Luther King erschossen wird, improvisiert er in Newark ein Trauerkonzert, bis seine Zuhörer in Tränen ausbrechen. Hendrix wird, wie alle Schwarzen in dieser Zeit in den USA, rassistisch diskriminiert. "Negro" steht in seiner FBI-Akte. Als er im Sommer 1968 mit einer weißen Blondine im Arm bei einem Konzert auftaucht, zieht ein Polizist seine Waffe und schreit: "Der nigg*r hat kein Recht, das Mädchen zu begrapschen."

Im Dezember 1969 stellt Hendrix eine Gruppe nur aus Schwarzen zusammen. Billy Cox, sein alter Air-Force-Kumpel am Bass, Buddy Miles am Schlagzeug. Die Band of Gypsies spielt vier Konzerte, aus deren Mitschnitten die letzte zu den Lebzeiten von Hendrix veröffentlichte Platte zusammengestellt wird. Doch seine Musik beginnt unter dem exzessiven Drogenkonsum zu leiden. Seine letzten Monate gleichen einem dauerhaften Delirium. In Dänemark bricht er nach acht Minuten bei einem Konzert zusammen. Den letzten großen Auftritt hat er in Deutschland, beim Love and Peace Festival auf Fehmarn am 6. September 1970.

Neun Tabletten

Hendrix fliegt zurück nach London, wo Monika Dannemann auf ihn wartet, eine 25 Jahre alte, blonde Eiskunstläuferin aus Düsseldorf. Die beiden kennen sich schon bald zwei Jahre und ziehen zusammen durch London. In den frühen Morgenstunden des 18. September holt die Deutsche ihren Geliebten von einer Party ab und nimmt ihn in ihre Hotelsuite mit.

Bevor Dannemann einschläft, dürfte sie ihm noch gesagt haben, dass sie Schlaftabletten hat und wo sie liegen. Was sie ihm wohl nicht gesagt hat, ist, wie stark das Barbiturat Vesparax ist. Zum Einschlafen reichen eine halbe bis höchstens eine Tablette. Hendrix nimmt neun. Und erstickt an seinem eigenen Erbrochenen.

Verwandte Artikel
  • Musik zum Vietnam-Feldzug:Der Soundtrack zum KriegVon Marc von Lüpke

  • Stars tot im Hotel:Einchecken, ausrasten, ablebenVon Solveig Grothe und Gesche Sager

  • Fehmarn-Festival 1970:Schlammbad mit Jimi Hendrix

Als Dannemann am nächsten Morgen feststellt, dass er sich nicht mehr bewegt, versucht sie einen seiner Freunde anzurufen und erreicht schließlich Eric Burdon. "Er ist krank und will nicht aufwachen", sagte sie. Sie solle sofort eine Ambulanz rufen, sagt ihr der Sänger. Er eilt zum Hotel und sammelt erst mal alle Drogen ein. Dann sieht er auf dem Tisch den Text eines Songs, den Hendrix am Vortag geschrieben hatte. "The Story of my life". Burdon glaubt, dass sein Kollege Selbstmord begangen hat. Doch der Tod von Jimi Hendrix war mit großer Wahrscheinlichkeit ein Unfall. Als Kriminalbeamte von Scotland Yard den Todesfall 1994 noch einmal untersuchten, kamen sie zu dem Schluss, dass Monika Dannemann gelogen hatte, als sie erklärte hatte, er habe am Morgen noch gelebt.

Zwei Jahre später verbot ein Londoner Gericht der Deutschen, die englische Hendrix-Freundin Kathy Etchingham eine "unverbesserliche Lügnerin" zu nennen, wenn diese ihr eine Mitschuld am Tode von Hendrix gab. Zwei Tage später vergiftete sich die vormalige Eisprinzessin in ihrem Mercedes.

Der Ruf von Jimi Hendrix als genialer Gitarrist ist seit seinem Tod noch gewachsen. Der Musiker Brian Eno stellte schon vor etlichen Jahren die Frage: "Warum wird Jimi Hendrix nicht von den Musikwissenschaftlern als einer der wichtigsten Komponisten des Jahrhunderts anerkannt?" Doch Musikwissenschaftler passen nicht zu Hendrix, der weder Noten lesen noch schreiben konnte. Er könne seine Musik sehen, während er sie mache, hat er gesagt. Er spiele Farben.

Hendrix' 40. Todestag (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Tyson Zemlak

Last Updated:

Views: 6148

Rating: 4.2 / 5 (43 voted)

Reviews: 82% of readers found this page helpful

Author information

Name: Tyson Zemlak

Birthday: 1992-03-17

Address: Apt. 662 96191 Quigley Dam, Kubview, MA 42013

Phone: +441678032891

Job: Community-Services Orchestrator

Hobby: Coffee roasting, Calligraphy, Metalworking, Fashion, Vehicle restoration, Shopping, Photography

Introduction: My name is Tyson Zemlak, I am a excited, light, sparkling, super, open, fair, magnificent person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.